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Ein verrückter Plan
Es gibt Unterfangen, von denen weiß man von vorneherein, dass sie eigentlich Irrsinn sind. Und dieses Wissen ändert rein gar nichts: Man lässt sich trotzdem nicht von seinem Vorhaben abhalten. Vielleicht, weil das Leben sonst einfach viel zu langweilig wäre? Und weil die schönsten Erlebnisse und Erinnerungen nun mal gerne aus solch spontanem Irrsinn erwachsen…
Meine Freundin Andrea und ich, wir wollten es uns in dieser Woche mal wieder beweisen: Wir sind wahnsinnig spontan. Der Plan: Dienstag morgen Abfahrt um 7 Uhr in unserer süddeutschen Kleinstadt, vom Navi veranschlagte Fahrzeit sieben Stunden, dann Ankunft am Lago d’Iseo. Check in im allerletzten Zimmerchen, das am See noch zu kriegen war und dann: The Floating Piers. Eine Übernachtung und am nächsten Tag vielleicht ein bisschen Bergamo, auf jeden Fall bis spätestens 22 Uhr wieder daheim sein.
Vermutlich hat sich irgendwo eine höhere Macht schlapp gelacht, während wir diese Pläne ausgeheckt haben. Eigentlich sollten wir alt genug sein, um zu wissen, dass Pläne nur dazu da sind, um über den Haufen geworfen zu werden. Um kurz vorzugreifen: Am Dienstag Abend boten wir beiden Blondinen mal kurz ein Bild des Jammers und wir mussten uns fragen, ob wir völlig umsonst an den Lago d’Iseo gekommen sind. Würden wir am nächsten Tag heimfahren müssen, ohne auch nur in die Nähe der Floating Piers gekommen zu sein?
Aber der Reihe nach: Von Deutschland nach Italien zu kommen, war überhaupt kein Problem. Das Ostello del Porto in Lovere versprüht von außen zwar den Charme einer Kaserne der Nationalen Volksarmee, punktet aber mit der Aussicht auf den Jachthafen, mit WLAN, Sauberkeit und freundlichem Personal. Wir stellen nur kurz unser Gepäck aufs Zimmer und machen uns dann auf den Weg zur Fähre.
Ankunft am Lago d’Iseo – und in der Realität
Aus dem Internet wissen wir, dass die letzte Fähre zur Monte Isola um 17.30 Uhr gehen sollte. Die ziemlich genervte Mitarbeiterin im Infocenter erklärt uns, dass nur etwa 60 Menschen mit können und dass wir uns unter einem Pavillonzelt um diese Plätze anstellen müssen. Dort wartet schon eine stattliche Anzahl von Menschen, obwohl es noch eine Stunde vor Abfahrtszeit ist. Kurz überschlagen: passt.
Was man uns vergessen hat zu sagen: 70 Prozent der Menschen, die es auf diese Fähre schaffen, werden aus der Gruppe rekrutiert werden, die ein Online-Ticket gebucht haben. Wir schauen der Fähre also hinterher und gönnen uns erst mal einen caffè. Dabei reift ein weiterer Plan: Wir könnten ja „mal eben schnell vor dem Abendessen“ versuchen, mit Andreas Jeep zu den Floating Piers zu kommen. Wir Ahnungslosen!
Hier die Schnellversion – in Wirklichkeit hat diese Fahrt mehrere nervenaufreibende Stunden in Anspruch genommen: Man. Kann. Nicht. Mit. Dem. Auto. Zu. Den. Piers. Fahren. Punkt. Unser hübscher Lageplan zeigt zwar Parkflächen auf und dazugehörige Parkgebühren, aber dieses System ist längst zusammen gebrochen. Die Polizei sperrt auf der Ostseite des Sees sämtliche Zufahrten zu den Piers ab. Alle Haltebuchten und Aussichtspunkte entlang der Via Tassano sind ebenfalls gesperrt. Ein Moloch an Autos quält sich über die Straßen und durch die Tunnel – besonders langsam dort, wo man zumindest einen schnellen Blick auf die Piers erhaschen kann.
Wir fahren alle Ort ab, von denen aus man eine der Fähren nehmen kann, nirgendwo gibt es Parkmöglichkeiten. In uns reift die Erkenntnis: Das wird heute nichts mehr und – viel schlimmer – das wird vielleicht auch an unserem zweiten und letzten Tag nichts mehr. Weil wir aber eh schon an der Südspitze des Sees sind, denken wir uns: He, warum nicht einfach einmal den See umrunden und fahren auf der Westseite des Lago Richtung Norden, um nach Lovere zu gelangen, wo wir unseren Frust in Frizzante ertränken wollen.
Vorbei an Dutzenden Italienern, die ihr Abendessen aus dem Lago fischen, geht es über ein schmales Sträßchen immer am Wasser entlang. Und mit Blick auf Oleander, Palmen und Wasser, das Zirpen der Zikaden im Ohr, beginnt sich dieses Zwei-Tage-Abenteuer mit ungewissem Ausgang doch ein bisschen nach Urlaub anzufühlen. Bis, ja, bis die orangene Baufolie vor uns auftaucht.
Straße gesperrt. Komplett. Wegen eines Erdrutsches, wie wir am nächsten Tag erfahren werden. Noch 18 Minuten wären es gewesen bis Lovere und Abendessen, zeigt das Navi an, das von diesem Erdrutsch nichts gewusst haben will. Eine Alternativroute gibt es auf der Westseite nicht. Wir müssen in den sauren Apfel – was genau das Einzige ist, das wir den ganzen Tag gegessen haben – beißen, umdrehen und uns wieder einordnen in die Blechlawine, die sich derzeit an der Ostseite des Lago d’Iseo entlang windet.
Es ist kurz vor 22 Uhr als wir es endlich geschafft haben. Wir freuen uns, in Italien zu sein, wo die Küchen nicht Punkt zehn schließen. Und beweisen ein gutes Händchen bei der Wahl der Osteria Spirito di Vino. Obwohl wir nicht wissen, wie es am nächsten Tag weiter gehen wird, ob wir unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren werden – und was wir daheim erzählen werden, wenn wir gar nicht übers Wasser gewandelt sind – das sehr leckere Abendessen (und der Vino) versöhnen uns mit dem Tag.
Alles. Wird. Gut.
Am nächsten Morgen geht es früh raus. Wir wollen alle Möglichkeiten ausschöpfen, die uns geblieben sind. Viele sind das nicht: Online-Ticket für die Fähre – muss drei Tage im voraus gebucht werden. Bahn – eventuell keine Parkmöglichkeiten an einem der Bahnhöfe und wenn die Bahnen aus Richtung Norden voll sind, halten die erst gar nicht mehr an. Shuttle-Bus: kein verlässlicher Fahrplan. Taxi – haben wir bereits am Vorabend versucht, aber nur den AB erreicht.
Einer von zwei rettenden Engeln an diesem Tag: die Dame an der Rezeption. Sie bestellt uns ein Taxi beim Taxiunternehmen ihres Vertrauens. Und handelt mit dem Fahrer auch gleich die Rückfahrt aus. Wir strahlen. Heute läuft’s. Weiterer Glücksgriff: der Taxifahrer. Denn als wir um 9 Uhr in Sulzano ankommen, sind die Piers bereits wieder gesperrt. Der Fahrer rät uns, hier mit der Fähre zur Monte Isola überzusetzen. Von der Insel im Iseosee aus lassen sie alle Leute auf die Piers.
In Sulzano ist es völlig unkompliziert, ein Ticket für die Fähre zu kriegen. Alle 20 Minuten fährt eine und wir schaffen bereits die erste, während viele andere sich anschicken, in langen Schlangen darauf zu warten, die Floating Piers vom Festland aus betreten zu dürfen. Und dann ist es soweit: Wir setzen den Fuß auf Christos Floating Piers, die wie goldene Sonnenstrahlen breit und einladend vor uns im Wasser liegen.
Der goldene Stoff ist nicht mehr so ganz taufrisch an diesem Mittwoch, aber er hält mit großer Robustheit dem Besucheransturm stand. Die Piers schwanken ein bisschen – wie ein Wasserbett. Hier merkt man nichts von dem großen Ansturm auf den Iseosee. Natürlich sind hier viele Menschen, aber auf den Piers selbst gibt es kein Gedränge, sondern ausreichend Platz. Viele setzen sich und sonnen sich, alle sind gut gelaunt. Die Stimmung: eine Mischung aus Familienausflug und Klassenfahrt.
Wir schlendern in aller Ruhe über die Piers und genießen die Atmosphäre um uns herum. Dann noch ein kleiner Ausflug zum „Bierbüro“, einem Imbissstand an einem Aussichtspunkt auf der Insel, wo wir uns allerdings nur eisgekühltes Wasser gönnen. Es ist heiß geworden und später werden wir sehen, wie die Feuerwehr die Wartenden mit einem Wasserstrahl aus dem Löschschlauch abkühlt.
Um uns herum sind vor allem Italiener. Natürlich hört man auch deutsche oder englische Sprachfetzen, aber es sind wohl vor allem die Italiener selbst, die den Lago d’Iseo für sich entdecken. Das ist auch dringend notwendig, hat uns der Taxifahrer erzählt. Nicht nur die Ausländer kennen den kleinsten der oberitalienischen Seen nicht so wirklich, auch die Italiener haben bislang Garda- oder Comer See dem Iseosee vorgezogen.
Der Fahrer, der gerade so viel Stress hat, dass er seine bambini kaum sieht, er wünscht sich, dass möglichst viele, die den Lago d’Iseo durch Christo kennengelernt haben, zurückkehren mögen. Zum Wohle der kompletten Region, die gerade so viel aushalten muss.
Ob wir auch einmal zum Iseosee zurückkehren werden? Vielleicht. Verdient hätte er es. Dann auf jeden Fall für länger. Denn das Schönste an Italien ist doch eigentlich das dolce far niente – und das kam bei dieser Hau-ruck-Aktion naturgegeben zu kurz.